Produktbeschreibung
Ferdinand Vicončaij, Mythen der Zukunft. Kindergeschichten für Erwachsene
ISBN: 978-3-943897-69-2
Einband: Hardcover mit Fadenheftung und Lesebändchen; Seiten/Umfang: 248 S.
Preis: 29,90 Eur (D) mit MWSt.
Die "Mythen der Zukunft" tragen den Untertitel "Kindergeschichten für Erwachsene". Sie bilden vordergründig ein Sammelsurium verschiedener Textgattungen wie Mythenparodien, Märchen und Meinungsstücken. Darunter finden sich im übertragenen Sinne "Storchengeschichten" – phantasievolle Lügen – aber auch „Wahrheiten“, die im Gestus der Lüge und Unzuverlässigkeit "getarnt" sind, nonsensige Spaßgeschichten und solche Geschichten, die blinde, unverantwortliche Seiten in der erwachsenen Lebenswelt betonen. Es wurde für dieses Buch ein spezielles Layout erarbeitet, das die Vielheit der darin versammelten Textformen berücksichtigt.
Die Themen hinter dem teils spielerischen Ton sind ernst und betreffen ewige Fragen um die „conditio humana“ ebenso wie derzeit virulente Problematiken der Ressourcenausbeutung, des Klimawandels und der sozialen Ungleichheit. Der vordergründig teils naiv unterhaltsame, teils lax überhebliche, ja manchmal ironisch offensive Umgang damit löst zwar die Probleme nicht, offeriert dem aufmerksamen Leser aber ungewohnte und plastische Bilder als möglichen Zugang zu einigen Fragen, die viele Menschen heute sehr beschäftigen.
Inhalt
dankwort
aus alter zeit
Der Urknall
Gal, Albe und andere
Die vielbrüstige Göttin
zwiespältige späße
Einladung
In einen Käfig setze ich dich
Was ist postmodern?
Die Wahrheit über die Hölle
Lebendiges Wasser – Fragmente einer Predigt
Von der heutigen Jugend wird gesagt...
Verschwörung
aus alter zeit
Der Gott, der sich langweilte
Die Balance der Zeit
Die Dialektik der Kräfte
märchen
Der Tortenralph
Annegret und Hans
Der Sohn
aus alter zeit
Der Himmelssturm
Der Gott der Provisorien
Buros, der langweilige Gott
Der entstellte Gott
märchen
Der Mann und die Schöne
Happy without end
Der Gerechte
Das Genie
aus naher zukunft
Arbeit
Christi Wiederkehr
aus altferner zukunft
Der Gott und die Flöte
nachwort
Nachwort
Wenn man Ferdinand Vicončaijs Autorenhaltung charakterisieren wollte, so zeichnet sie sich zuallererst durch eine spielerisch mutwillige Behauptung der Phantasie, ja teilweise Unbekümmertheit im Umgang mit Genres, ernsten Themen und Textformen aus. Die „Mythen der Zukunft“, die als „Kindergeschichten für Erwachsene“ präsentiert werden, bilden vordergründig ein Sammelsurium von Texten unterschiedlicher Gattung. Häufig sind Parodien zu Textarten wie Märchen, Mythen und Meinungsstücken oder Genresynthesen. Inhaltlich verbindet die Texte, dass in ihnen Kreativität und Entwicklungsfähigkeit thematisiert werden, oftmals unter dem Gesichtspunkt einer wurzel- wie grenzenlos gewordenen Expansion, sei es in Kunst, Politik oder konsumistisch individueller Vereinzelung. Der Titel „Mythen der Zukunft“ lässt Interpretationsspielraum zu zwischen solchen Mythen, die Zukunft thematisieren, und solchen, die in Zukunft gelten könnten. Zugleich lässt der Titel im Beiton ein Unterthema, Imaginationen, Illusionen und Selbsttäuschungen, anklingen. Solche können eine weltgestaltende Rolle einnehmen („Happy without end“, „Der Gerechte“), und Zielort einer Migration aus der Realität werden („Der Mann und die Schöne“, „Das Genie“, „Einladung“, „Arbeit“). Die Bewegungen in den Erzählungen wie auch in den Reflexionen sind triebhaft, undialektisch in sich selbst bezogen und rücksichtslos gegen anderes. Entsprechendes gilt für die „Götter“ in den Mythenparodien, die in ihrer Eindimensionalität Triebkräften ähneln, Triebkräften allerdings in ihrer weltgestaltenden Wirkmächtigkeit. Es sind biologische Gottheiten, die teilweise blind Sinnkontexte, Lebensformen und Kulturen erschaffen oder diese auch vernichten.
Eine implizit proklamierte „Wiederkehr der Götter“ in Kunst und Literatur kann auf eine gesteigerte Bedeutung der biologischen Basis bewussten Lebens in der immer komplexer und vielfältiger werdenden Welt verweisen. Wo angesichts einer massiven Beschleunigung von allem und eines erhöhten Taktes von Entscheidungen immer weniger Raum für reflektierte Handlungen bleibt, tendiert die Welt zu einer Ordnung aus Anziehungen und Abstoßungen und tendieren auch Personen zu einer neuen Verantwortungsferne, die ihr Denken und Handeln als Oberfläche von augenlosen Mechanismen erscheinen lässt. Ein neuer Biologismus, der sich damit etabliert, ist ein struktureller, der sich aus einer Überforderung unserer Würde- und Verantwortungskultur aufdrängt. So kann es scheinen, als agierten mehr und mehr Nervensysteme anstelle von Personen. Wenn man einen rudimentären Bogen durch die Götterzählungen (inklusive „Christi Wiederkehr“ zieht, ergibt sich das Bild einer verworrenen, durcheinandergeratenen Götterwelt, einer Unordnung in den Beziehungen zwischen Himmel und Erde.
Die Idee eines blinden weltschöpferischen Mechanismus findet im Monolog des Philosophen in „Christi Wiederkehr“ eine buchstäbliche Gestalt: Hier erscheint die Entwicklung der technologischen Zivilisation als ein bewusstloser Prozess der Selbstverwandlung von Materie. Auch in den „Märchen“ und Meinungsstücken kehrt ein Moment von Bewusstlosigkeit wieder, das suggerieren kann, die Menschen wären vollständig von einem blinden Mechanismus geführt. Die Figuren zeigen dementsprechend eine psychologische Oberflächlichkeit. Auch in der mit Abstand längsten Erzählung, „Christi Wiederkehr“, worin die Protagonisten zunächst mit rudimentären Charakterzeichnungen eingeführt werden, tritt an deren Stelle nach der Initiation eine Homogenität des Jesuanischen Duktus, der den Figuren fast gänzlich ihren individuellen Charakter nimmt.
Ein oft hartes Aufeinandertreffen von Lächerlichkeit und existentiellem Ernst gibt vielen der hier versammelten Texte ein ungeklärtes, schillerndes Zentrum. Die Bruchstellen sind oftmals Effekte einer konsequenten Kombination von kontrastierenden Elementen. Brüche in Sinnformen und Gehalten werden unter dem Gewand oberflächlicher Kontinuitäten verborgen und überspielt. So gibt es Märchen mit sinnlosem Ende, Fehler, die, anstatt korrigiert zu werden, immer größer werden und ihre eigene sinnfreie Realität generieren, Predigtfragmente, in denen Gesten einer Erlösungsreligion mit einer kapitalistischen Haltung gekreuzt werden, Mythen mit infantilen Gottheiten, die eher dem Kinderzimmer entlehnt scheinen als altehrwürdiger Mythologie.
In „Christi Wiederkehr“ treten Aspekte der Erzählformen und Textgattungen, die zuvor einzeln verwendet wurden, in eine zusammenhängende Geschichte. Die Collage von Stilen kann dabei selbst zum Bedeutungsträger werden, indem sie auf eine Unvermitteltheit der Sphären verweist, die im Versuch, eine Überblicksperspektive zu erlangen, zu vielfachen Reibungen und Kollisionen führt.
Unter einer verspielten Eigendynamik kontrastintensiver Kreuzungseffekte verschwindet oftmals auch eine lesbare Haltung des Autors, so dass die Leser:innen mit ihrer ambivalenten Erfahrung allein bleiben. Die Bruchstellen wecken bisweilen Fragen, Fragen nach dem Sinn von Religion, von religiöser Sprache, nach der Rationalität oder Irrationalität des Menschen, nach der Nähe oder Ferne von Wahrheit und sozialer Wirklichkeit, Fragen auch, inwieweit die willkürlichen und paradoxen Sinnmixturen unsere Realität treffen und inwieweit wir damit leben wollen. Und nicht zuletzt können sich Leser:innen von einer Spiellaune und einem teils zwiespältigen Humor mitführen lassen und sich überlegen, ob sich darin eine mögliche oder gar angemessene Haltung mitteilt.
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Diesen Artikel haben wir am 28.05.2024 in unseren Katalog aufgenommen.